Im Podium sitzen neben A. Jone Munjunga, dem Vorsitzenden des
Afrikanischen Kulturvereins Palanca e.V. und ehemaligen Kollegen von
Amadeu Antonio, die Pfarrerin Almuth Berger, Ausländerbeauftragte der
DDR-Regierung unter Hans Modrow und Lothar de Maizière, die dann bis zu
ihrem Ruhestand 2006 dieses Amt in Brandenburg inne hatte, und Hans
Mai, 1. frei gewählter Bügermeister von Eberswalde nach dem
demokratischen Umbruch.
Vierter Podiumsteilnehmer ist Hardwin Schulz, der damals in der
evangelischen Jugndarbeit tätig war.
Moderation Lara Sophie Milagro, schwarze Schauspielerin und Regisseurin
und künstlerische Leiterin des Theaterensembles Label Noir.
damals
In der Nacht vom 24. zum 25. November 1990 überfielen etwa 50 bis 60
mit Baseballschlägern, Messern und Fahrradketten bewaffnete junge
Männer und Frauen den "Hüttengasthof", einen stadtbekannten Treffpunkt
von Ausländern, insbesonderen Schwarzen / Afrikanern. Einer der
fliehenden Männer wurde vor dem Werksgelände einer etwa 50 m entfernt
liegenden Fabrik von der aufgebrachten Meute zu Boden gerissen und
anschließend solange getreten bis er sein Bewusstsein verlor. Der
Angolaner Amadeu Antonio verstarb elf Tage später am 6. Dezember 1990,
ohne das Bewusstsein wieder erlangt zu haben.
Als erste überregionale Zeitung brachte die Berliner "taz" Ende Januar
1991 einen Artikel über die Ausschreitungen in jener Novembernacht.
Danach kamen immer wieder Journalisten in die Stadt, um über den
Tathergang und die Umstände etwas Genaueres herauszufinden. Von
Augenzeugen erfuhren sie, dass die Polizei informiert und vor Ort
gewesen sei, allerdings nicht angemessen reagiert habe. Freunde des
getöteten Angolaners berichteten, dass die Stadt an jedem Wochenende
von rechten Schlägergruppen der gesamten Umgebung heimgesucht werde.
Erst würden sie sich betrinken und anschließend randalierend
umherziehen, ohne dass die Polizei einschreite. Die Lebensgefährtinnen
der Afrikaner erklärten, dass sie sich kaum noch aus dem Haus trauten,
weil sie auf der Straße ständig beschimpft und angepöbelt würden, auch
von ganz "normalen" Bürgern. Die Lebensgefährtin des getöteten
Angolaners berichtete, dass sie aus vorbeifahrenden Autos, im Obus und
selbst auf dem Arbeitsamt angepöbelt und als "Negerhure" beschimpft
werde. Aber auch in ihren Wohnungen seien sie nicht sicher. Einige der
Frauen seien bereits zu Hause überfallen worden. Anzeige erstatteten
sie nicht, weil sie Angst vor Vergeltungsanschlägen hätten und auch
keine Hilfe von der Polizei erwarteten. Eine der Frauen erklärte einem
Reporter, dass sie nach einem Überfall auf ihre Wohnung Anzeige
erstattet habe, der Beamte aber lediglich vorwurfsvoll zu ihr gesagt
habe: 'Was schaffen Sie sich auch so ein Baby an.' Durchweg kamen in
den 1991 erschienenen Pressedarstellungen die Opfer zu Wort, die von
einer Atmosphäre der Angst berichteten, unter der sie sehr litten und
die zu erheblichen Selbsteinschränkungen geführt habe. Die
Darstellungen der Opfer, dass das Gewaltmonopol des Staates durch die
Polizei nicht aufrechterhalten werde, dass es einen kontinuierlichen
Wiederholungscharakter und eine rassistische Alltagskultur gebe,
innerhalb der die schweren Übergriffe lediglich die "Spitze des
Eisbergs" darstellten, waren schwerwiegende öffentliche Anklagen gegen
die Stadtgesellschaft. Die Journalisten skandalisierten aber nicht nur
die unzivilen Zustände in der Stadt, sondern vor allem auch die
Reaktionen der Repräsentanten der Stadt. So sollen die lokalen
Autoritäten, die die Journalisten mit den zivilisatorischen Lücken in
der Stadt konfrontierten, indifferent reagiert haben. Der Bürgermeister
des Ortsteils Finow soll erklärt haben: "Er sei zwar kein
Ausländerfeind (...), trotzdem sei er froh, dass kaum noch Schwarze in
der Stadt wohnten. Irgendwie brauchen die Jugendlichen ja die Ausländer
für ihre Gewalttätigkeiten."
Nach den Recherchen der Reporter soll die häufigste Ausdrucksform
indifferenter Haltungen darin gelegen haben, den Opfern von
fremdenfeindlichen Gewaltverbrechen eine Mit- bzw. Teilschuld
zuzuschreiben. Die Täter blieben sozial integriert, und die Opfer
wurden "ihrem Schicksal" überlassen. Als lokale
Konfliktbewältigungsstrategie wurde im Jahr eins der deutschen Einheit
die Exklusion der Opfer anscheinend nicht als anstößig erlebt.
Die Täter wurden überwiegend als Kriminelle betrachtet, was sie sicher
auch waren, und die Übergriffe mit dem Hinweis auf andere -
"vermeintlich schlimmere" - Orte relativiert.
Ein Teil der Stadtgesellschaft begriff sich seither als Opfer einer
Rufmordkampagne und erklärt nicht die fremdenfeindlichen Haltungen und
Übergriffe zum Problem, sondern vielmehr die Pressedarstellungen
darüber. Die Abwehr des Fremdbildes reicht von der Klage, dass
"reißerische" Darstellungen in der Presse die Stadt in Misskredit
gebracht haben, weil sie für ein verzerrtes und einseitiges Bild über
Eberswalde in der Öffentlichkeit sorgen bis zur Schuldzuweisung,
fremdenfeindliche Ausschreitungen erst hervorzurufen.
Trotz der indifferenten und abwehrenden Haltungen von einigen lokalen
Repräsentanten, kam im September 1991 in der Stadt ein Runder Tisch
zustande, an dem die Stadt, der Landkreis, die Polizei, die
Staatsanwaltschaft, das Gericht, die evangelische Kirche und
verschiedene Vereine teilnahmen und beratschlagten, wie die Integration
von Ausländer/inne/n verbessert werden könnte. Am Runden Tisch wurde
die Gründung von zwei Arbeitsgruppen angeregt; eine verwaltungsinterne
und eine -externe. Die interne Arbeitsgruppe der Kreisverwaltung sah
die Beteiligung von Mitgliedern des Kreistages vor; sie war aber nur
von kurzer Dauer. Die externe Arbeitsgruppe nahm sich besonders des
Opferschutzes an. Sie rief eine Telefonkette ins Leben, an die sich
Opfer fremdenfeindlicher Gewalt wenden konnten. Fünfundzwanzig Personen
beteiligten sich an der Unterstützungsmaßnahme. Mit der Initiierung des
Runden Tisches nahmen die zivilgesellschaftlichen Entwicklungen in
Eberswalde ihren Anfang.
Die Initiierung des Runden Tisches ging wesentlich auf das Engagement
der Ausländerbeauftragten des Landkreises Barnim zurück, die im
September 1991 ihre Stelle antrat. Die Ausländerbeauftragte, die ein
engagiertes Mitglied der evangelischen Kirche ist und bis 1993
Stadtverordnete war, engagiert sich seither - über ihr Amt hinaus - für
die Integration von Zuwanderern.
Marieta Böttcher ist bis heute als Beauftragte für Migration und
Integration des Landreises Barnim im Dienst.
Im Oktober 1991 fand eine außerordentliche Stadtverordnetenversammlung
zum Thema Fremdenfeindlichkeit statt, bei der auch Betroffene zu Wort
kamen. Dort wurde beschlossen, die Jugendarbeit auszubauen. Die
evangelische Kirche nahm sich daraufhin besonders dem Problem an und
stellte in Aussicht, einen Jugendtreffpunkt einzurichten. Von diesem
Jugendtreffpunkt - dem Jugendkeller der evangelischen Kirche - gingen
später mehrfach Initiativen gegen Fremdenfeindlichkeit aus.
und heute?
Weitere Informationen:
http://www.amadeu-antonio-stiftung.de/todestag-amadeu-antonio/